Anfang des Jahres bekam ich von einem netten
Wunschlistenspender das Buch
Die Neanderthal Parallaxe von Robert J. Sawyer geschenkt.
In einem tief in einer Mine verstauten Observatorium für Neutrino-Kollisionen befindet sich ein großer Tank mit 'schwerem Wasser', wo sich besagte Neutrinos zur Weltall-Analyse sammeln. Doch plötzlich sammeln sich dort nicht nur die selten kollidierenden Neutrinos, sondern plötzlich taucht ein Mensch darin auf, der gerade noch vor dem Ertrinken gerettet werden kann.
Recht schnell stellt sich jedoch heraus, dass diese Person kein Mensch ist, sondern ein Neanderthaler namens Ponter. Dieser stammt aus einer Parallelwelt, auf der die Neanderthaler nicht ausgestroben sind, und den Planeten in einer kleinen Gesellschaft beherrschen, die Gewalt in einer friedlichen aber voll-überwachten Gesellschaft abgeschafft haben. Jeder Neanderthaler hat einen kleinen implantierten "Begleiter", der durch ständige Videoaufzeichnung alle Bewohner voreinander beschützt. Aufgrund der Abwesenheit jeglicher Religion lebt man so recht friedlich zusammen - und daher wird nun der Arbeitskollege des verschwundenen Ponter in seinem Universum des Mordes bezichtigt.
In unserer Welt hingegen lernt Ponter dank seines Gefährten schnell die Besonderheiten der Menschheit, und erfährt auch, was für ein krankes Völkchen wir sind...
Das Buch erzählt in einer sehr packenden Weise die Geschichte zweier Welten, zweier Gesellschaften.
Während man bei der Implantatsache doch erst sehr zweifeln möchte, auch anbetrachts der Überwachungstendenzen der modernen Kultur, wird dies sehr plausibel und mit interessanten Details nähergebracht, so dass man völlig sympatisch für diese andere, friedliche und funktionierende neanderthalische Kultur weiterliest.
Leider kommt das Buch teilweise nur träge voran. Die Kapitel sind abwechselnd in den jeweiligen Parallelwelten geschrieben, und treiben so zwei parallele Handlungsstränge voran, die aber beide erst im späteren Verlauf etwas packender werden, aber immer kurz vor aufgebauten Höhepunkten wieder in die andere Ebene wechseln.
Die Charaktere bedürfen leider viel Phantasie, um wirklich zu funktionieren. Sawyer hält sich viel an objektiven oder sachlichen Dingen auf, und schafft es nicht, eine Persönlichkeit der einzelnen Figuren deutlich hervorzubringen. Gerade das Fremdheitsgefühl von Ponter hätte mich sehr interessiert, wird aber im Buch fast nur tangiert. Auch werden auf zahlreichen Seiten andere Charaktere ausgebaut, die dann wieder in der Versenkung verschwinden und eigentlich total unerheblich waren.
Da hätte ich mir mehr Disziplin und Strukturiertheit gewünscht - die Neanderthal-Welt kommt da insgesamt besser voran, doch auch dort hätte man gesellschaftliche Unterschiede schon stärker herausarbeiten können.
Letztlich fasziniert das Thema natürlich sehr, und lässt auch viel Gedankenspielraum für mich als Leser. Am wertvollsten war für mich die Diskussion über die Rolle der Religion in unserer Welt, und was ohne Religion sich hätte entwickeln können. Dieses Kapitel kann ich eigentlich jedem ans Herz legen, man kann es sogar losgelöst vom restlichen Buch gut lesen.
Abschließend also 6 Punkte, mit sehr viel verspieltem Potential. Dennoch werde ich den Nachfolger des Buches lesen wollen...