Heute habe ich gemeinsam mit Emba mal wieder die Sneak im Bonner Stern heimgesucht. Ein kurzer Blick in die Liste der demnächst erscheinenden Kinofilme sagte mir so ziemlich garnichts. Insgeheim hatte ich zwar auf
Cold Creek Manor getippt, aber war mit dieser Vorahnung auch nicht so glücklich.
Stattdessen wurden wir mit einem Film überrascht, der uns mit den Worten "Keine Ahnung was das ist, nie gehört, könnte so ein holländischer Drogenfilm sein" angekündigt wurde. Und nur von einer einzigen Person im Kinosaal richtig vorausgesagt wurde:
Der Film beginnt mit einer wackelnden Kameraaufnahme. Der erste Gedanke der mir durch den Kopf schießt: "Oh nein, ein pseudokünstlerischer Heimvideo-Film, der die nächsten 100 Minuten mit Alltagsgeschichten und sozialen Konflikten verbringen wird und dabei ganz tierisch nervt". Innerlich sackte ich zusammen, und der Blick herüber zu Emba lässt bei ihr ähnliche Gefühlsregungen vermuten. Man sieht also auf der Leinwand eine Frau mit scheusslicher Pisspott-Frisur im Bett liegen. Neben ihr liegt ein Afro-Amerikaner (ist das politisch korrekt?). Die wackelnde Digital-Kamera schwenkt hin und her zwischen der Frau und dem Mann, wie sie sich unterhalten. Die Frau will nicht aufstehen. Ihr Freund nervt sie, genau das zu tun. Mehrere Filmschnitte verschönern die Szene, und ich sehe meine düstere Vorahnung immer weiter gestärkt.
Auf einmal hüpft der Mann auf dem Bett herum, zwingt die Frau zum Aufstehen und schleppt sie auf einmal schreiend aus dem Bett und stellt sie unter die Dusche, was sie kreischend und genervt wohl nicht gut findet.
Bingo, obwohl ich es überhaupt nicht wollte muss ich anfangen zu schmunzeln. Der Blick herüber zu Emba lässt dieselbe Reaktion erkennen, und wir fangen an zu lachen.
So setzt sich der Film dann zwar in ähnlicher szenischer Umsetzung fort, aber wird von Szene zu Szene immer witziger und zieht uns in den Bann. Also kann ich mal mit einem Storyüberblick anfangen:
April (gespielt von
Katie Holmes, wie ich erst nach einigen Minuten dank ihres wirren Aussehens erkenne) bereitet ein Thanksgiving-Essen gemeinsam mit ihrem Freund für ihre Familie vor. Die Familie wohnt weiter entfernt, April in einer Slum-Gegend New Yorks. Alles um sie ist leicht verkommen, und schnell stellt der Zuschauer fest, dass sie das schwarze Schaf ihrer Familie ist. Die Mutter ist schwer krebskrank, wird bald sterben, kann ihre Tochter absolut nicht ausstehen und erlebt vermutlich ihr letztes Thanksgiving. Die restliche Familie ist ebenfalls mit Ecken und Kanten ausgestattet: Eine altersschwache und debile Oma, ein verpeilter Sohn und eine zickig-arrogant überhebliche andere Tochter.
April hingegen ist trotz des schlechten Verhältnisses zu Ihrer Mutter bemüht, das Essen trotz ihrer Unlust perfekt durchzuziehen. Ihr dazu extra besorgter Riesen-Truthahn wird an jenem Tag zubereitet, und natürlich das ist ihr Hauptproblem: Ihr Ofen geht kaputt, und sie trommelt ihr ganzes Wohnhaus zusammen, ihr doch bitte zu helfen. Natürlich ist das Wohnhaus mit sozialen Randgruppen, Paranoikern, Exzentrikern oder Besserwissen besetzt, die ihr alle nicht helfen wollen.
In der Parallelhandlung erlebt man, wie die Familie zu April fährt, wie sie mit der Krankheit ihrer Mutter umgehen, und was sonst noch alles schiefläuft.
Obwohl sich die Story vielleicht sehr an den Haaren herbeigezogen oder klischeehaft anhört, ist sie eigentlich durchgängig glaubhaft und realistisch umgesetzt. Man fühlt mit jedem neuen Problem Aprils mit, und ist von dem Schicksal der kaputten Familie berührt.
Der Film begeistert mit trockenem, schwarzen und auch tragischem Humor sowie einer genauso tragischen und berührenden Hauptgeschichte. Die Dialoge sind herrlich glaubhaft und vor allem schauspielerisch einwandfrei herübergebracht. Besonders April und ihre Mutter sind ideal gecastet, auch der Vater kommt sympatisch herüber.
Der Film drückt an einigen Stellen zwar gefährlich nahe an der Tränendrüse, aber selbst das nicht gekünstelt sondern ich fühlte mich ernsthaft von der Geschichte berührt. Um genau zu sein habe ich nur eine Sache an dem Film auszusetzen: Die durchgängig qualitativ schlechte Filmung per Digital-Videokamera mag zwar Realismus ausstrahlen, aber ist häufig einfach nur nervig schlecht. Da hätte etwas mehr Hochglanz gut getan. Obwohl auf der anderen Seite genau die Abwesenheit des Hollywood-Hochglanzes diesem Film so eine einzigartige Athmosphäre mitgbit.
Genau für solche Filmperlen gehe ich in die Sneak! Denn hätte ich das Filmplakat oder die Beschreibung hierfür gelesen, so hätte ich mir den Film noch nichtmal im Fernsehen angeguckt. So aber hat er mich und Emba total mitgerissen, und hat auch eine kräftige, familiäre Botschaft. Jeder, der mit seiner Familie vielleicht etwas im Klinch liegt wird sich mit dem Film wohl gut identifizieren können und daraus vielleicht sogar etwas positives gewinnen.
8 IMDB-Punkte für diesen grandios schlicht-genialen Film!