Jeden Tag habe ich eine recht schöne Strecke zur Arbeit, wenn es nicht gerade regnet. Und zwar schlendere ich vom Bonner Hauptbahnhof durch die Poppelsdorfer Allee. Ein wunderschönes Stück Grün, besonders zur Sommerzeit.
Und wenn ich morgens nicht gerade radelnde oder flanierende Studenten, Jogger oder spazierende Mütter sehe -- dann sind es meist lustige Grüppchen aus dem "Verein für Gefährdetenhilfe e.V" am Hauptbahnhof. Ganz früher, als ich frisch, fromm, fröhlich und jung war, überlegte ich immer was es mit diesen armen Gefährdeten Personen auf sich haben könnte. Malte mir fürchterliche Schreckensbilder von Leuten aus, die aus Kriegsgebieten kamen, oder von den Leuten, die auf dem Schulhof immer verprügelt wurden.
Irgendwann stellte sich dann für mich raus, dass dieser Verein schlicht das vereint, was ich mal einfach wohlwollend als Junkie bezeichnen möchte.
Seitdem mache ich immer einen etwas vorsichtigen Bogen um diesen Teil der Strecke zum Bahnhof. Ab und an ist es lustig zu sehen, wie die Leute ihre Drogen im Busch vor dem Standesamt(?) an der Ecke verstecken, um dann quasi clean in die Beratungsräume gehen zu können.
Wie dem auch sei. Kernpunkt meiner Geschichte soll heute ein Erlebnis sein, dass ich mit zwei solcher Personen auf dem Arbeitsweg teilte. Eine Frau und ein Mann mittleren Alters gingen auf der gegenüberliegenden Straßenseite, und diskutierten in einer Lautstärke, wie es wohl nur Gefährdete üblicherweise tun. Das ganze muss man sich bitte nun auch in einem gammelig-langsamen, gepresst oder drückendem Tonfall visualisieren:
Er: Ja, hmn...aber dann gehen wir wohl besser auseinander
Sie: Eeeeyh, Mann. Ich gehe für Dich anschaffen! Damit Du deine Klamotten waschen kannst! Das kannst Du mir jetzt nicht zum Vorwurf machen.
Er: (gestikuliert)
Sie: Das ist auch schlimm für misch aber was soll ich machen ne du weißt doch das wir das brauchen und ich mache das und ey, ich geh anschaffen für Disch!
Super, sowas seh ich sonst nur im Vormittags-Asi-TV-Programm, das ich leider aufgrund meiner Arbeit meistens verpassen muss. Leider war die Diskussion dann für mich auch schon vorbei, da ich im Büro angekommen war. Aber heute morgen fiel die zweite Klappe, denn die beiden flanierten erneut die Allee entlang.
Er: Ich weiß ja auch nicht was wir machen sollen!
Sie: Ja und weiß ich das ist mir doch egal und ausserdem, ey, ich proportioniere mich für dich, weißt du eigentlich was das heißt?
Ich fürchte, beide wissen nicht, was es heißt, sich zu proportionieren. Und werden es vermutlich auch niemals wissen. Oder wieder vergessen. Einblicke in eine ganz andere Welt, bei denen ich mich nachher immer frage: Will oder muss ich wissen, dass so eine Welt existiert?