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Thema: Wie frech darf ich zu meinem Physiklehrer sein? (1998)

In meiner nachfolgenden Erörterung werde ich darauf eingehen, inwiefern Lehrer Ziele von Frechheiten werden können, wo diese Frechheiten herrühren, wie sie sich äußern und welche individuellen Motive Anlaß zu Frechheiten auf Schülerseite geben.

A priori muß ich jedoch meine Definition einer Frechheit festlegen. Eine Frechheit ist für mich eine Äußerung eines Individuums, die für das von der Frechheit betroffene Individuum negative Charakteristiken aufzeigt, wobei diese nicht unbedingt realitätsnah sein müssen. So ist die Differenzierung einer Frechheit, eines Scherzes und angrenzenden Synonymen nicht immer klar zu vollziehen. Eine Frechheit ist somit eine ähnliche Aussage wie eine Beleidigung, wobei die Frechheit in ihrer Auswirkung nicht so ernst genommen werden darf und nicht so schwer wiegt wie eine Beleidigung. Jedoch wiegt eine Frechheit schwerer als ein Scherz, da bei einem Scherz immerhin klar erkennbar ist, das die getätigte Aussage nicht ernst gemeint war.

Zudem möchte ich bei meiner Erörterung generell auf alle Lehrer schließen, denn nach der strengen Betrachtung des Themas fokussiert auf den Gesichtspunkt des sozialistisch geprägten Gedanken einer Gleichheit aller Menschen, stellen Physiklehrer einen marginalen Unterschied zu einem Lehrer eines anderen Faches dar.

Nun aber weiter zu der Intention einer Frechheit. Diese Intention verändert sich im Laufe einer Schülerlaufbahn extrem. Werden in der Unterstufe Frechheiten noch dazu mißbraucht, auf sich aufmerksam zu machen und bei den Mitschülern beliebt zu werden (also niedere Beweggründe, auf die in dieser Erörterung nun nicht weiter eingegangen werden soll) so ändern sich diese Motivationen bis zur Mittelstufe de facto drastisch. Hier ist allgemein die Null-Bock-Stimmung maßgeblich, die den pubertierenden Jüngling dazu veranlaßt, einem Lehrer klarzumachen, daß die Schule voll uncool ist und außerdem der Lehrer einem garnichts zu sagen hat, ey. So möchte man sich in diesem Alter generell mit jedem Menschen anlegen, speziell mit Lehrern. Diese sind berufsbedingt bekanntlichermaßen Obrigkeiten und vertreten ein System, was den Zögling dazu zwingt von seinen privaten Interessen abzusehen und sich auf das zukünftige Leben vorzubereiten, in dem man kapitalistisch zu denken hat und nur mit Leistung überzeugen kann. Warum soll man sich aber zwingen lassen, dies zu tun? Ist man kein Mensch, der für sich selber entscheiden kann? Dies sind die zentralen Leitfragen des Mittelstufenschülers, an denen er sich orientiert wenn er versucht die Obrigkeiten mit einer Frechheit zu erzürnen um somit die Mißbilligung dieses Systems zu verdeutlichen. Hingegen sind Lehrer aber dann noch so gemein, diese Meinung des Auszubildenden nicht zu akzeptieren und auf den Prinzipien und der Berechtigung des Systems zu pochen, was einen Lehrling zu noch mehr Frechheiten verleitet. Hier entsteht gewissermaßen ein Teufelskreis, der sich erst schließt wenn der Schüler die Oberstufe erreicht. Hier greifen die Prinzipien des Systems bei den meisten Jugendlichen, an die sie ja von Kindheit an gewöhnt wurden, und erinnern sie daran, daß die Oberstufe nun maßgeblich an ihrem künftigen Berufsleben beteiligt ist. Angemerkt sei hier, daß es durchaus gegenläufige Meinungen zu dieser Aussage gibt, deren Vertreter meist auf dem Level eines Mittelstufenschülers zurückggelieben sind und ihre Pubertät wohl nicht nach den Maßstäben der heutigen Gesellschaft abgeschlossen haben. Die Untersuchung der Eigenschaften dieser Personen würde den Rahmen dieser Erörterung jedoch sprengen.

Der gemäßigte, vom System doch beeinflußte, Oberstüfler, hier "homo primus" tituliert, weiß durchaus zu entscheiden wie er sich gegenüber der Öffentlichkeit und Lehrern zu verhalten hat. Er ist nun endgültig aus seinem Mittelstufenverhalten emaniert und vernunftbegabt - von Einzelfällen sei hier mal abgesehen - und weiß wann er "cool" sein muß, wann er "bedenklich" sein muß, wann er sich zurückzuhalten hat, wann er albern oder gar kindisch sein darf und natürlich auch, wann er Frechheiten anbringen darf, kann oder muß.

Frechheiten werden nun primär aus dem Aspekt dazu benutzt, witzig zu sein und somit seine Fähigkeiten als Gruppenleiter zu demonstrieren, einem Lehrer die eigene Überlegenheit zu beweisen bzw. dessen Inkompetenz klarzustellen, die Grenzen eines Lehrers auszuloten was dessen Punkt zum "Ausflippen" betrifft, einer generellen Aversion gegenüber des Lehrers erneut zur Auffrischung zu verhelfen, oder gar einfach nur aus einem Rückfall in die Phase des Prä-Vernunftbegabt seins und der daraus resultierenden selbstverschuldeten Unmündigkeit, in dieser Situation seinen Mund nicht halten zu können.

Im Normalfall weiß ein Lehrer, wie er auf diese Frechheiten eines homo primus zu reagieren hat. Sei es durch aus der Unterstufe alteingesessene Strafarbeiten, einer Ignorierung der Aussage des homo primus und somit der Betrachtung der Frechheit als anal-periphäre Tangierung, oder gar dem bei homo primi extrem unbeliebtem "Konter". Solche "Konter", also Gegenfrechheiten, finden meist noch Anklang bei der Bevölkerung einer Klasse und stellen den homo primus bloß, das schlimmste was somit passieren kann, da die mühsam bis dahin aufgebaute Respektierung der Person nun verloren gehen kann - vorausgesetzt, der Lehrer weiß den Witzgrad der Frechheit zu übertreffen.

Nun aber zur Fragestellung dieser Erörterung: "Wie frech darf man sein?"? Dies hängt definitiv von dem spezifischen Lehrer und dessen "Ausflipp"- Punkt ab, welcher proportional zur individuellen Inkompetenz- und Witzigkeits-Konstante verläuft. Die Influenz und Konvergenz dieser beiden Konstanten ist bis dato noch nicht exakt geklärt, es kann nur vermutet werden, daß eine genügend große Witzigkeits-Konstante eine gegebenenfalls große Inkompetenz-Konstante durchaus ausgleichen kann. Somit ist letzten Endes der Betrag und die Richtung der Witzigkeits-Konstante ausschlaggebend für das Ergebnis der Wirkung auf eine vom Schüler ausgehende Frechheit, was annehmen läßt, daß diese Konstante ein Vektor ist und durch Skalarmultiplikation die Richtung der Wirkung herausgefunden werden kann.

Wenn ein Schüler sich des Ergebnisses vollends bewußt ist, was bei einem vernunftbegabten homo primus angenommen werden kann, weiß er wie stark seine Frechheit ausfallen darf. So ist ein kleiner, witzig gemeinter Seitenhieb gegen einen Lehrer fast immer im Rahmen des Geduldeten. Schwere Frechheiten, die man schon fast "Beleidigung" titulieren könnte, dürfen generell nur dann angebracht werden, wenn der Betrag der Aversion gegen diesen Lehrer groß genug ist und dem Ergebnis der Risiko<->Wirkung-Abwägung genügend Wichtigkeit beigemessen werden kann.

Solche Frechheiten sollen von dem Autoren dieser Erörterung aber keinesfalls propagiert werden sondern es soll nur angemerkt sein, daß es diese Beweggründe einer schweren Frechheit durchaus gibt. Möchte man also das gewünschte Ergebnis einer Frechheit erzielen (s.o.) sollte man vorsichtig den Grad der Frechheit auswählen, denn (und nun alle Lehrer bitte genau lesen, denn dies ist der Kernsatz auf den man sich später bei einer Interpretation beziehen sollte!) Frechheiten sind bei Lehrern nur in geringem und witzig-intentioniertem Maß anzuwenden, da Lehrer schließlich Menschen sind, die dem homo primus nur gutes wollen und durch den homo primus rational bestätigt oder kritisiert werden sollten. Weicht eine Frechheit auf den beleidigenden Pfad ab, versackt dieses Motiv in Polemik und es kann keinen gemeinsamen Konsens geben, der einen gemeinsamen Weg ermöglicht.

Hier sei nun noch auf einen speziellen Fall der Frechheit eines Schülers hingewiesen, der auf die Ursache dieser Erörterung zurückgeht. Und zwar ist dies der Fall, der Provozierung einer Frechheit durch einen Lehrer. Versucht dieser Lehrer durch eine witzige Äußerung die allgemeine Erheiterung beim homo primus zu erreichen, muß er durchaus darauf gefaßt sein, eine Frechheit zu hören zu bekommen - eine Reaktion des homo primus auf etwas was er nicht lustig fand oder auf etwas, das der durch die Schule genervte homo primus als Anlaß dafür sieht, nun trotzig kontern zu müssen. Diese Frechheit kann also daher rühren, muß aber nicht. Ein anderer Grund wäre nämlich, daß die Aussage des Schülers nicht als Frechheit konzipiert war, sondern als Scherz, also seinerseits der Versuch des homo primus auf den Witz eines Lehrer einzu'chanten' (neudeutsch für "einstimmen").

Weiterhin fehlt dem Referenten hier leider letzten Endes die Erfahrung über weitere Stufen der Frechheits-Evolution und kann leider die Motive einer Frechheit von Lehrerseite nicht darlegen.