Tops und Flops :: Texte :: verweigerung

Darlegung der Beweggründe für die Gewissensentscheidung

Meine Entscheidung zur Kriegsdienstverweigerung stand für mich schon immer fest; mein Elternhaus sowie meine Freunde übten bereits großen Einfluß auf meine Entwicklung dahingehend aus.

Bereits in meiner Kindheit vermittelte mir meine Mutter ihre Ideale einer gewaltlosen Erziehung und einer Erziehung, in der mein Bruder und ich gleichgestellt waren. Uns wurde früh beigebracht, daß in den "üblichen" brüderlichen Auseinandersetzungen Gewalt keinswegs eine Lösung ist, und so wurden wir auch nie körperlich bestraft, sondern wurden stets aufgefordert, unsere Konflikte auf einer verbalen Ebene zu lösen, und dabei stets darauf zu achten, daß wir gleichwertige Menschen sind.

Da die Persönlichkeit eines Menschens, wie auch meine, stark durch seine Umgebung und die Erziehung geformt und gefestigt wird, nahm ich diese Ideale meiner Mutter als meine eigenen an, und könnte mir daher niemals systematische und willenlose Gewaltanwendung, wie sie die Bundeswehr von einem Soldaten im Kriegseinsatz verlangt, mit meinem Gewissen vereinbaren und ausführen.

Die stark mitfühlende Haltung meiner Mutter, die mich schließlich in den Jahren meiner Persönlichkeitsfestigung als alleinerziehender Elternteil stark beeinflußte, gegenüber menschlichem Leid in jeder Art hat mich stets tief beeindruckt und diente für mich als ein großes Vorbild. Als Kind in einer Großfamilie, die nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue Existenz aufbauen mußte, wurde meiner Mutter von meinem Großvater häufig von der Scheußlichkeit des Krieges berichtet, die er als Soldat erleben mußte. Auch ich konnte häufig den Erzählungen meines Großvaters zuhören, und konnte schon als Kind deutlich erkennen, wie sehr ihn die Erlebnisse des Krieges geformt hatten. Mit zunehemender Reife konnte ich ernstere Gespräche mit meinem Großvater führen, in denen er mir zu erklären versuchte, was er als Soldat empfunden hatte. Er fühlte sich einerseits dem Militärkommando hörig und wußte, daß er Befehle zu befolgen hatte, konnte diese aber andererseits mit sich persönlich nicht vereinbaren. Daß er jene Befehle jedoch ausführen mußte, und mit welchen grauenhaften Auswirkungen für sein Gewissen dies geschah, lehrte mich, solche Gewissensentscheidungen zu treffen, wenn ich noch in der Lage bin eine Alternative nutzen zu können. Diese Alternative würde mir als vereidigter Soldat jedoch nicht möglich gemacht; mir wird im Kriegsdienst verboten, eine moralische Entscheidung zu treffen, die sich mit meinem Gewissen vereinbaren ließe. Daß ich mit diesem Zwiespalt als Soldat nicht zurechtkommen würde, ließe mir nur die Möglichkeit, entweder strikt die Befehle zu befolgen oder aber die Befehle zu mißachten. Welche Auswirkungen es auf das menschliche Gewissen hat, gegen seine eigene Überzeugung zu handeln demonstrierte mir in höchst eindringlicher Art und Weise mein Großvater, der diese Auswirkungen auch heute noch spürt.

Wäre ich also im Ernstfall eines Krieges vor das Problem gestellt, einen Feind mit Waffengewalt abwehren zu müssen, so ließe mein Gewissen es nicht zu, diesen Menschen umzubringen.

Meine Schule, ein katholisches Gymnasium mit deutlicher Gewichtung auf dem ethischen Bereich, und insbesondere der Philosophieunterricht in der Oberstufe regten mich zu vielem Nachdenken über die Bedeutung des Lebens und vor allem der Moral und des Gewissens an.

Ich glaube, aufgrund meiner gesamten Erziehung und persönlicher Erfahrungen, an das Gute im Menschen, an die Möglichkeit, daß jeder Mensch, was er auch getan hat, ein Gewissen hat und sich daher auch wieder zum Guten wenden kann. Daher hat in meinen Augen kein Mensch eine mutwillige Tötung verdient und andersherum kein Mensch das Recht, einen Mitmenschen zu töten. Niemand ist wirklich vollkommen und sollte für sich beanspruchen, über das Recht anderer zu leben urteilen zu können.

Für mich ist das Streben nach dem Guten und dem besten mir möglichen, sozialverträglichen Verhalten das höchste Ziel im Leben. Das Gute ist für mich selbstloses Verhalten, Verantwortung für Mitmenschen zu übernehmen und anderen Menschen nach Möglichkeit zu einem besseren Leben zu verhelfen - oder zumindest zu versuchen, das Leben anderer nicht negativ zu beeinflußen.

Den obersten Bewertungsmaßstab für moralisch gutes Handeln stellt meiner Meinung nach im Kantischen Sinne der gute Wille dar, nicht der tatsächliche Erfolg einer vielleicht vollkommen amoralisch motivierten Tat. Doch guten Willen könnte ich auf keinen Fall mit einer von mir durchzuführenden Tötungshandlung verbinden, da das Tötungsverbot als oberstes Gesetz meines Gewissens alle möglichen praktischen Legitimationsgründe überlagert und ungültig macht.

Diese Überzeugung, meine Erziehung und meine ehrliche Abscheu vor Gewalt in jeder Form würden es mir unmöglich machen, einen Menschen zu töten. In einer persönlichen Notsituation würde ich stets den gewaltfreien Ausweg suchen, wie mir von Kind auf geraten wurde. Doch muß ich ehrlich zugeben, daß ich im Falle direkter Bedrohung meines Lebens oder des Lebens anderer Unschuldiger (z.B. bei einem bewaffneten Raubüberfall) Notwehr als letzten Ausweg akzeptieren könnte. Der Unterschied zwischen dieser Form von Gewaltanwendung und der im Krieg von Soldaten geforderten Gewalt aber ist wesentlich:

Für persönliche Notwehr übernähme ich die Verantwortung, nicht bloß rechtlich, sondern vor allem vor mir selbst. Ich müßte mir der Ausweglosigkeit der individuellen Notwehrsituation sicher sein, gleichzeitig im klaren über die Konsequenzen meines Handelns. Der Notwehr folgte unweigerlich eine persönliche Reflexion und Auseinandersetzung mit meinem Gewissen. Wahrscheinlich quälte mich noch lange die Frage, ob ich tatsächlich nicht anders hätte reagieren können.

Soldaten dagegen müssen, im Namen ihrer Armee, also unter Abwälzen der Verantwortung, z. T. massenhaft töten; der persönliche Bezug zur Gewalttat und die Auseinandersetzung mit dem Gewissen entfällt. Außerdem ist die Situation der direkten, persönlichen und unverschuldeten Bedrohung nicht gegeben; im Gegenteil, oft müssen Soldaten sogar "präventiv" töten, um eventuellem Unrecht durch die gegnerische Seite zuvorzukommen.

Mein Gewissen macht es mir jedoch unmöglich, Menschen umzubringen, woran ich als Soldat gleich doppelt beteiligt wäre: Mein Befehl verpflichtete mich zum Erschießen von Feinden, gleichzeitig wäre ich als Soldat Auslöser für feindliche Gewaltakte gegen meine Bevölkerung; mir bliebe nur, selbst zu Töten oder die Tötung von Mitmenschen zuzulassen, was beides gegen mein unbedingtes Tötungsverbot verstieße und mich so vor einen unlösbaren Gewissenskonflikt stellte.

Außerdem kann ich nicht in einem Menschen in gegnerischer Uniform bloß einen Feind sehen; die Vorstellung, daß der Mensch, den auszulöschen meine Aufgabe ist, möglicherweise genauso wenig aus persönlicher Motivation wie ich hier ist, um unüberschaubare politische, häufig sogar materialistische Interessen der Befehlshaber zu verteidigen, finde ich schrecklich.

Ein Beispiel, das sie bestimmt schon häufig gelesen haben, das ich aber dennoch erwähnen möchte, da es mich tief erschüttert hat, ist die "Grabenszene" aus dem Antikriegsbuch und -film "Im Westen nichts Neues" von E. M. Remarque, als ein deutscher Soldat im I. Weltkrieg zusammen mit einem französischen Soldaten zufällig im gleichen Krater Schutz sucht. Er sticht auf den "Feind" ein, doch als er dann gezwungen ist, das langsame, qualvolle und von ihm verschuldete Sterben zu beobachten, erkennt er seine Schuld und die Sinnlosigkeit des Todes im Krieg; er lernt den Menschen im Feind kennen und klagt über die Lüge vom Feind: "Warum sagt man uns nicht immer wieder, daß ihr ebenso arme Hunde seid wie wir, daß sich eure Mütter ebenso ängstigen wie unsere und das wir die gleiche Furcht vor dem Tode haben und das gleiche Sterben und den gleichen Schmerz- vergib mir, Kamerad, wie konntest du mein Feind sein." (S.201-202). Ich denke, dieser Soldat zeigt deutlich, wie ein Mensch, der ein waches Gewissen hat, vom Krieg und vom Tötungszwang zerstört werden kann; so bietet er dem bereits gestorbenen Franzosen an: "Nimm zwanzig Jahre von mir, Kamerad, und stehe auf - nimm mehr, denn ich weiß nicht, was ich damit beginnen soll." (S.202), oder, wie Remarque im Vorwort schreibt: "Dieses Buch soll (...) den Versuch machen, über eine Generation zu berichten, die vom Kriege zerstört wurde - auch wenn sie seinen Granaten entkam".

Nicht die Angst um das eigene Leben im Kriegsfalle, die ich nicht leugnen möchte, ist also der ausschlaggebende Beweggrund für meine Verweigerung, sondern die Angst vor seelischem Schaden, wenn ich gezwungen wäre, gegen meine tiefste Überzeugung und gleichzeitig mein unbedingtes Gefühl, daß durch meine Hand kein Mensch sterben darf, zu handeln.

Ein anderer Film, der meine Haltung zum Militär im Zusammenhang mit meiner Kriegsdienstverweigerung erneut bestätigt hat, ist der Science-fiction-Film "Starship Troopers". Er handelt von einem Großangriff der menschlichen Streitkräfte auf die Welt insektenartiger außerirdischer Lebewesen, um durch die Zerstörung dieser Planetengruppe weitere Meteoriteneinschläge auf die Erde zu verhindern. Obwohl es kontroverse Kritiken über den Film gab, habe ich ihn als überzeichnete Satire auf Armeen und somit als Antikriegsfilm verstanden, da er das militärische Ehren- und Männlichkeitspathos, den Drill und die Betonung der "deutschen Sekundärtugenden", die hintergründige Propaganda mittels Appell an Rachegefühle (Stichwort "Vergeltungsschlag") und, im Laufe gigantischer Schlachten, vor allem eins deutlich macht: Im Krieg entwickelt sich unweigerlich Grausamkeit; gegen Ende des Films stellt man einfach fest, daß die Menschen, die ihre gräßlich zugerichteten Toten beklagen und rächen, gleichzeitig kein bißchen weniger grausam und haßerfüllt gegen die "Bugs", jene tierhaften Außerirdischen, vorgehen. Auf einen Satz reduziert könnte die Botschaft lauten: Im Krieg wird der Mensch zum Tier.

Zugleich zeigte mir die übertrieben deutliche Darstellung von Gewalt, Verstümmelung und Tod erneut meine Abneigung dagegen und festigte meine Position, daß ich an so etwas nie teilhaben und mitschuldig werden darf; ich könnte im Kriegsfall den Schießbefehl nur verweigern, was (da ich, sobald ich im Militär wäre, mein Tötungsverbot nicht mehr aufrechterhalten dürfte) unweigerlich harte Strafen mit sich zöge, oder, wie es in "Starship Troopers" heißt: "Wer sich drückt, wird erschossen".

Ich hoffe, meine Gewissensentscheidung ist Ihnen als solche deutlich geworden.

P.S.: Die Verweigerung ist übrigens sehr inspiriert von einer Fassung, die Lorenz geschrieben hat. Ich habe sie nur an einigen Stellen gekürzt und an anderen erweitert. Dennoch entspricht Sie meinen Gedanken.